Presseauszug:
BERGISCHE LANDESZEITUNG WIPPERFÜRTH LINDLAR
Vom 08.04.2004
40 Hiebe auf einen Zentimeter
Seit 98 Jahren Familienbetrieb: Scheels letzte Feilenhauer mit Schlüsselfeilen erfolgreich
Von Lutz Blumberg
SCHEEL. Der Mann sitzt auf einem kleinen Schemel, zwischen seinen Knien ist der Amboss. Immer wieder schnellt der Hammer auf den Meißel, treibt Kerbe für Kerbe in das Metall. 40 Hiebe gehen auf einen Zentimeter, exakt in immer gleichem Abstand. Es ist das Jahr 1890, und für jede Stunde, die der Arbeiter so über dem Amboss kauert, bekommt er einen Stundenlohn von etwa zwei Mark.
So wie er in Scheel verdienten fast 200 Arbeiter in der Gemeinde ihren Lohn. Die Feilenhauerei war zum wichtigsten Wirtschaftszweig Lindlars geworden, wie der damalige Bürgermeister Hoffstadt in einem Bericht festhält.
Heute sitzen die meisten Feilenhauer an Maschinen, spannen die Rohlinge ein und betätigen Hebel. Meist jedoch in Delhi oder Shanghai: Indien und China sind zu den Hauptlieferanten für Feilen geworden. Das Feilenhauen hat trotz Automatisierung immer noch rund zwanzig Arbeitsschritte, die nur per Hand ausgeführt werden können. Für viele Hersteller ist das bei deutschen Löhnen unbezahlbar.
Aber trotz Konkurrenz aus den Billiglohnländern und Rabattschlachten im Baumarkt gibt es sie noch, die Feilenhauer an Sülz und Scheelbach: Schlüsselfeilen, das ist unsere Marktnische, erklärt Ullrich Rodewies, Mitinhaber der einzigen Feilenhauerei auf Gemeindegebiet. In seiner Hand hat er ein Stück Metall, nur wenige Millimeter dick und noch Ölverschmiert. Wenn es fertig ist, wird es ein Spezialwerkzeug für Feinmechaniker sein.
Der Scheeler betreibt die Feilenhauerei gemeinsam mit seinem Bruder Horst und Vater Willi. In der Werkstatt in Scheel und in einer Halle auf dem Werksgelände von Schmidt & Clemens in Kaiserau stellt die Familie her, was nicht in Masse aus Fernost importiert werden kann.„Wir hauen sogar Feilen, die nur noch einen Durchmesser von 0,8 Millimeter haben.
Im Jahr 1906 beginnt die Geschichte der Feilenhauerei Rodewies: Carl Rodewies, Großvater von Horst und Ullrich, begann, gegen Geld Feilen zu hauen. Die Werkzeugindustrie hatte schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts damit angefangen, Metallrohlinge nach Scheel zu liefern. Viele Arbeiter fertigten dann Feilen in Heimarbeit.
Bis heute ist die Werkstatt der Feilenhauer Rodewies in der Neuenbergstraße in Scheel zu finden. Ullrich Rodewies: „Bis in die 60er Jahre blieb das Feilenhauen reine Lohnarbeit.“ In immer größerem Absatz hatte sein Großvater bis dahin die Feilen gehauen. Dann setzte der Wandel ein, mit Ullrich und Horst stieg in den 70er Jahren die dritte Familiengeneration in das Handwerk ein, das zwischenzeitlich Willi Rodewies von seinem Vater Carl Übernommen hatte. Die Lohnarbeit aber nahm ab. Darum fingen die Rodewies' an, Feilen vollständig herzustellen und am Markt anzubieten. Nur noch der Rohstahl kam von einer Firma aus Solingen, aber die meldete dann auch Konkurs an.“ Die Scheeler Familie übernahm die Maschinen aus der Konkursmasse und mietete auf dem Gelände der Firma Schmidt & Clemens in Kaiserau eine Halle an. „Jetzt machen wir die Feile vollständig selbst“, erklärt Rodewies, er deutet auf eine Palette mit Eisendrähten: Das sind knapp 100 Kilo, damit kommen wir ein paar Monate aus. Nicht verwunderlich, als er eine fertige Feile daneben hält, die nur knapp 7,5 Gramm wiegt.
Die Endprodukte gehen nach wie vor an große Werkzeugfirmen, die die Feilen aus der Hauerei Rodewies unter ihrem Namen im Handel vertreiben. Greift man also im Fachmarkt nach einem Satz Schlüsselfeilen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass diese Feilen aus Scheel stammen.
Aber neben den Auftragsarbeiten für Werkzeugfirmen gibt es noch eine Besonderheit bei der kleinen Firma: In einem stabilen Regal, das durch jahrzehntelangen Gebrauch inzwischen schwarz von und Metallstaub ist, liegen die so genannten Schnitte“, Stanzformen für die Feilenrohlinge. Einige davon sind mehr als 40 Jahre alt.
In kleinen Stückzahlen und sehr speziell
Wenn ein Kunde mal eine Sonderanfertigung bei uns bestellt hat, dann kommt der Schnitt für den Rohling hierhin, erklärt Rodewies. Benötigt der Kunde Ersatz, kann die Feile immer wieder neu angefertigt werden, auch in kleinsten Stückzahlen. So klein, dass es nicht lohnt, sie mit einem Containerschiff aus Shanghai kommen zu lassen. Oder so speziell, dass die Feilen nicht in Fernost gehauen werden können.
|